Interview mit Annette Sauermann
Fraunhofer: Liebe Frau Sauermann, Sie haben für die beiden Neubauten von Fraunhofer ILT und Fraunhofer IPT zwei Kunstwerke geschaffen, die einen engen Bezug zum Wesen der beiden Institute haben – was zeigen die »Netzwerke des Wissens«?
Annette Sauermann: Bei Kunst-und-Bau-Projekten entwickle ich meine Ideen prinzipiell aus dem Kontext heraus. Daher beziehen sich die »Netzwerke des Wissens« auf die jeweilige Arbeitsstruktur der beiden Institute. Bei diesem Projekt waren die Ausgangsthemen Licht, das an beiden Instituten eine tragende Rolle spielt, und vernetztes Arbeiten. Eine Analogie zwischen der Vernetzung der Arbeitsprozesse und dem Bild eines pulsierenden neuronalen Netzwerks lag da recht nahe. Die Netzwerkzeichnungen stellen für mich ein abstraktes Bild eines neuronalen Netzwerks dar.
Fraunhofer: Und welche Interpretationsmöglichkeiten könnten die Ingenieure auf der anderen Seite der Fassade sehen?
Annette Sauermann: Ich lege meine Arbeiten bewusst so an, dass sie den Nutzern die Möglichkeit geben, sie offen zu interpretieren und ihre eigenen Ideen zu entwickeln. Durch den Kontext ermöglichen sie eine individuelle Identifikation und bieten dem Betrachter eine persönliche Reflexionsebene. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt.
Fraunhofer: Wie würden Sie die Netzwerke des Wissens im Kontext Ihrer anderen künstlerischen Arbeiten sehen?
Annette Sauermann: Die »Netzwerke« sind, wie alle meine Kunst-am-Bau-Projekte, eine Neuentwicklung nur für diesen speziellen Ort. Die wichtigen konzeptionellen Merkmale, die meine Arbeit ausmachen, sind alle enthalten: Das Licht ist beispielsweise ein wichtiges Element in all meinen Arbeiten und auch bei den Netzwerken spielen Tages- und Kunstlicht im Wechsel eine zentrale Rolle. Etwas, das ich vorher allerdings noch nie gemacht habe, ist das Arbeiten mit zeichnerischen, grafischen Elementen.
Fraunhofer: Aus welchen Materialien bestehen die Kunstwerke?
Annette Sauermann: Grundsätzlich arbeite ich immer, auch bei meinen Skulpturen, die ich außerhalb der Kunst am Bau mache, mit Alltagsmaterialien, beispielsweise Beton, Plexiglas oder Lichtfiltern aus der Filmindustrie. Bei diesem Projekt habe ich erstmals direkt mit der Architektur gearbeitet. Ich habe zunächst Teile des Fassadenglases in mehreren Vorgängen bearbeiten lassen, so dass sie verschiedene Lichtwirkungen bei Tag und Nacht hervorbringen. Besonders wichtig ist in diesem Fall natürlich die Technik, also das Lichtsystem, das an sich sehr komplex ist.
Fraunhofer: Welche Bedeutung haben die Farbgebung, die Linienführung und das Material dabei?
Annette Sauermann: Die Linienführung der Netzwerke habe ich ebenfalls aus dem Kontext entwickelt. Am Fraunhofer ILT sind die Linien gerade und perspektivisch, in Anlehnung an den geraden, ins Unendliche verlaufenden Laserstrahl. Die Farbgebung steht dabei natürlich im Zusammenhang mit dem roten Heliumneonlaser. Am Fraunhofer IPT sind es kreisende Linien, die sich auf die hier häufig thematisierten Schleif- und Abtragprozesse beziehen. Dort war eine konkrete Farbzuweisung für mich nicht erkennbar, deswegen wollte ich ursprünglich nur Weiß, als die Farbe, die alle anderen Farben des Spektrums beinhaltet, verwenden. Allerdings habe ich mich dann im Arbeitsprozess entschlossen, eine kurze Grün-Blau-Sequenz zu integrieren, um mehr Variationsmöglichkeiten zu schaffen.
Fraunhofer: Welche Technik steckt dahinter?
Annette Sauermann: Das Lichtsystem, für das 410 LED-Ketten mit 6560 LED-Modulen verbaut wurden, beleuchtet die Netzwerklinien nicht einfach willkürlich, sondern ist mit den internen Computernetzwerken der Institute verbunden. Dadurch bekommt das System Impulse in Form von Daten, für die verschiedene Quellen genutzt werden. Die Anzahl der eingeloggten Nutzer, der Internet-Traffic und andere Daten, die aus dem Netzwerkverkehr der Institute generiert werden, nehme ich als Grundlage für die Auswahl und Aktivität der unterschiedlichen Lichtszenen, die wir vorher entwickelt haben. Darüber hinaus nehmen die Daten auch Einfluss auf die Geschwindigkeit, Länge, Art und Häufigkeit des Auftretens der verschiedenen Lichtszenen, deren Helligkeit tageslichtabhängig reguliert wird.
Fraunhofer: Welche Arten von Dienstleistern und Zulieferern sind nötig, um solch ein Kunstwerk zu schaffen?
Annette Sauermann: Ich habe zunächst mit einem Unternehmen zusammengearbeitet, das auf den konstruktiven Glasbau spezialisiert war. Darüber hinaus ein Anbieter für Glasveredelung sowie ein Spezialist für LED-Technik, der neben den üblichen Kenntnissen auch mit der Umsetzung künstlerischer Konzepte vertraut ist.
Fraunhofer: Wie kann man sich solch eine Zusammenarbeit vorstellen? Gab es besondere Herausforderungen?
Annette Sauermann: Zwischen mir und den drei Unternehmen, der Bauleitung, den Nutzern sowie dem Bauherrn bestand während er gesamten Zeit eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Eine Herausforderung war aber zum Beispiel, dass der Architekt die Gläser als blickdichte, nicht hinterleuchtete Flächen in einem bestimmten RAL-Ton in dunkelgrau beziehungsweise weiß geplant hatte. Durch die Hinterleuchtung wird diese Art von Gläsern aber semitransparent, so dass die Trag- Konstruktion sichtbar geworden wäre. Wir standen also vor der Frage, wie wir es schaffen, die Spezialgläser für die Kunst mit diversen Digitaldruckgängen, Spiegellinien und Sandstrahlung nach vorne genauso erscheinen zu lassen, wie die Industriegläser mit ihrer einfachen Beschichtung. Wer schon mal Farben gemischt hat und den gleichen Farbton zweimal mischen wollte, kann erahnen, wie schwierig dieses Unterfangen war. Hier haben diverse Spezialisten, unter anderem die Glashütte und ein Unternehmen, das sich mit keramischen Glasfarben beschäftigt, sehr gute Arbeit geleistet.
Fraunhofer: Ist alles so gelungen, wie Sie es von Beginn an geplant hatten?
Annette Sauermann: Ja, im Prinzip schon. Es ist natürlich von der ersten Idee bis zur endgültigen Übergabe ein langer Weg, auf dem ich immer wieder Details optimiert habe oder neue, unvorhersehbare Probleme lösen musste. Aber jetzt bin ich – und auch alle beteiligten Projektpartner – schon sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Fraunhofer: Wie lange hat das ganze Projekt insgesamt gedauert?
Annette Sauermann: Der Wettbewerb wurde Mitte August 2013 ausgelobt und die Einweihung war Ende Februar 2015 – also gut 16 Monate.
Fraunhofer: Und wieviel davon war Kunst, wieviel eher Projektmanagement?
Annette Sauermann: In manchen Phasen hat das in der Tat mit Kunst kaum noch etwas zu tun, außer eben, dass ich auch die künstlerischen Aspekte des Projekts immer im Auge behalten muss. Schließlich darf das Ganze nicht den zahlreichen anderen Anforderungen wie Sicherheit oder Kosten so weit untergeordnet werden, dass die Kunst am Ende nicht mehr wirkt wie geplant.
Fraunhofer: Wie gelang Ihnen die Integration der Kunst in das architektonische Konzept? Zu welchem Zeitpunkt wurden Sie in die Bauaktivitäten eingebunden?
Annette Sauermann: Erst im Wettbewerb, als die Werkplanung abgeschlossen war. Aus meiner Perspektive als Künstlerin wäre es natürlich angenehmer gewesen, schon früher, in der Planungsphase, einbezogen zu werden.
Fraunhofer: Wie haben die Institute und Bauherren Ihren Entwurf aufgenommen? Sah alles von Anfang an genauso aus wie es umgesetzt wurde?
Annette Sauermann: Sie waren sehr begeistert, dass ich die Leitbilder und Arbeitsinhalte der Institute dem Projekt zugrunde gelegt habe. Natürlich gab es eine Weiterentwicklung der Zeichnungen nach dem Wettbewerb, aber das waren künstlerische Prozesse, die ich alleine entschieden habe. Im Wesentlichen stand der Entwurf bei Abgabe des Wettbewerbsbeitrags fest.
Fraunhofer: Wie gehen die Institute jetzt mit den Kunstwerken um?
Annette Sauermann: Ich habe bisher vor allem natürlich Feedback von den Menschen bekommen, mit denen ich in irgendeiner Weise direkt zu tun hatte: Institutsleitern und Projektbeteiligten, wie beispielsweise den Mitgliedern der IT-Gruppen aus beiden Häusern, die die Anbindung an die internen Netzwerke mit uns entwickelt haben, oder den Techniker beider Institute. Bei den meisten stößt das Projekt auf großes Interesse, wenn nicht sogar Begeisterung, was ich sehr erfreulich finde.
Fraunhofer: Gab es auch Feedback von Dritten?
Annette Sauermann: Das ist schon eindeutig: Jeder, der sich die Netzwerke des Wissens bisher von außen angesehen hat, und das sind schon einige, ist begeistert. Das zeigen ja auch die vielen Auto- und Hobbyfotografen, die nach Feierabend vorbeikommen, um das Kunstwerk selbst oder ihre Lamborghinis davor zu fotografieren – das finde ich amüsant. Aber auch Profis, die sich in dieser Art von Kunst auskennen, bezeichnen es als herausragend, denn in dieser Form gab es das bisher nicht.
Fraunhofer: Abschließend – spielt es für Sie eine Rolle, dass Sie das Kunstwerk hier in Aachen installieren konnten?
Annette Sauermann: Es war für mich eine Freude, ein solches Projekt einmal sozusagen vor meiner Haustüre machen zu können. Und gerade die Lage auf dem neuen Campusgelände finde ich spannend, weil hier noch viel passieren wird in den nächsten Jahren. Es wäre toll, wenn sich daraus noch andere neue Projekte ergeben würden.
Fraunhofer: Vielen Dank, Frau Sauermann, für dieses Interview. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg mit Ihrer Kunst und alles Gute für zukünftige Projekte!